hre Arbeitstage begannen in jenen Wochen im Frühjahr schon im Morgengrauen. Während die erste Welle der Pandemie Deutschland weitgehend stillgelegt hatte, herrschte im Hochhaus gleich neben dem Berliner Bahnhof Friedrichstraße Betrieb: Dutzende Beraterinnen und Berater fuhren, während es draußen noch dunkel war, mit ihren Autos in die Tiefgarage des Gebäudes mit dem weiß-gelben Schriftzug EY – kurz für Ernst & Young.
Sie verteilten sich dort, so gut es coronakonform eben ging, auf die Konferenzräume und Büros und in einem Gebäude ein paar Hundert Meter nördlich: dem Gesundheitsministerium, ihrem neuen Auftraggeber. So erinnern sich einige, die dabei waren.
Rechnungsprüfer waren dabei, Chinaexperten, Logistiker – ein Team, das in Windeseile von anderen Projekten abgezogen worden war. Sie klappten ihre Laptops auf, legten los und blieben bis zum späten Abend. Das war nötig, weil es hier um sehr viel ging: darum, Deutschland mit Schutzmasken gegen das Coronavirus zu versorgen, so schnell wie möglich, nachdem vorher viel schiefgelaufen war.
Eine junge Beraterin, die damals dabei war, sagt über den Druck in diesen Wochen: „Wir wussten: Das ganze Land blickt jetzt auf uns.“ Insgesamt waren mehr als 110 Berater im Einsatz. 16-Stunden-Tage seien es immer wieder gewesen, unterbrochen oft nur vom Lieferdienst, der Pizza brachte. Erst wenn man einander zwischen den gestapelten Pizzakartons nicht mehr sehen konnte, so jedenfalls beschreibt es die Beraterin, sei ihr bewusst geworden: Vielleicht ist es Zeit, für heute Schluss zu machen.
Der Einsatz der Berater hinterlässt bis heute viele Fragen: Wie konnte es sein, dass dieser riesige Staatsauftrag notwendig wurde – warum reichten die Beamten des zuständigen Ministeriums nicht? Warum beauftragte das Haus gerade Ernst & Young? Und wie konnte es dazu kommen, dass sich das Ganze am Ende trotz der teuren Beratung von außen zu einem veritablen Skandal entwickelte: Mehr als 70 Lieferanten zogen gegen das Ministerium vor Gericht, weil es bei der Abwicklung große Probleme gab. Waren die Berater tatsächlich ihre 9,5 Millionen Euro plus Mehrwertsteuer wert? Diese Fragen beschäftigen heute nicht nur den Bundesrechnungshof.
Ein Teil der Antworten ist, dass es der Bundesregierung inzwischen zur Gewohnheit geworden ist, externe Beratung zu beanspruchen. Berater gehen in Ministerien und Behörden seit Jahren ein und aus. Allein die Bundesministerien und das Kanzleramt gaben einer aktuellen Auskunft der Regierung zufolge im ersten Dreivierteljahr 2020 rund 344 Millionen Euro für externe Berater aus. Rechnet man die Ausgaben aller öffentlichen Behörden von Bund, Ländern und Kommunen zusammen, kamen einer Hochrechnung von Forschern der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg zufolge sogar mehr als drei Milliarden Euro an Beraterausgaben zusammen.
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