Shirley Zapf hat sich oft gefragt: Wie kann das sein? Dass dieser Anschlag aus der Erinnerung der Deutschen gelöscht zu sein scheint, dass sich kaum jemand an die Toten erinnert, an ihre Familien. Dabei geht es nicht um irgendeinen Anschlag. Es geht um jenen mit den meisten toten Deutschen seit vielen Jahren.
Am 12. Januar 2016 erfuhr Zapf von dem Terroranschlag in Istanbul, sie war bei der Arbeit, als Küchenchefin im Kanzleramt. Ihre Mutter und ihr Stiefvater machten in der türkischen Metropole Urlaub. Zapfs Partner versuchte vergeblich, über die Telefonzentrale des Auswärtigen Amts Informationen zu bekommen. Auf einer türkischen Internetseite mit einer Liste der Opfer stießen sie dann auf den Namen des Stiefvaters. Jetzt erst bestätigte dies das Krisenreaktionszentrum. Einen Tag später stand Zapf am Bett ihrer Mutter. Sie lag im Sterben.
Zwölf Deutsche kamen damals ums Leben, weil sich ein IS-Terrorist inmitten der Reisegruppe in die Luft gesprengt hatte. Bombensplitter schossen in Körper. Leichenteile flogen durch die Luft. Doch in Deutschland folgten nur ein paar Schlagzeilen, nicht viel mehr. Als einige Monate später ein Islamist auf dem Breitscheidplatz mordete, sah Zapf die Berichte, sie hörte Worte der Trauer von vielen Politikern. „Ich hatte das Gefühl, um diese Betroffenen werde sich mehr gekümmert. Erst später erfuhr ich von ihnen, dass das nicht so war.“LESEN SIE AUCH
Bei der Bundesregierung heißt es: „Terror richtet sich nicht nur gegen Einzelne, sondern gegen die gesamte Gesellschaft.“ Was aber folgt daraus? Im Fall der rechtsextremen Terrorzelle NSU wurden die Opfer jahrelang zu Unrecht als Täter behandelt. Mahnmale werden immer wieder geschändet. Und die Einrichtung zentraler Gedenkorte in mehreren Bundesländern kommt nur schleppend voran.
WELT AM SONNTAG hat mit Opfern von mehreren islamistischen Anschlägen gesprochen. Auch sie fühlten sich vom Staat nicht angemessen behandelt. Zwar gilt die Tat in Berlin vor genau fünf Jahren als Wendepunkt für die Versorgung – aber noch immer gibt es viele Probleme.
Kevin Möschle ging damals am 19. Dezember 2016 über den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz, er wollte Geschenke einkaufen. „Ich hörte einen Knall, drehte mich um“, erinnert er sich. „Da sah ich dieses ,Monster‘, den Lkw, wie es von hinten auf mich zukam.“ Der Lkw sei noch einmal lauter geworden, habe offenbar aufgedreht – dann sei Möschle bewusstlos geworden.
„Als ich wieder zu mir kam, sah ich den Lkw weiter entfernt stehen.“ 13 Männer und Frauen aus dem In- und Ausland starben. Über den Täter wurde viel berichtet. Nur wenige nahmen die Einzelschicksale der Opfer wirklich wahr. Als ein paar Tage später Prominente und Politiker zu einem Gottesdienst zusammenkamen, war für Angehörige kein Platz mehr.
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