Eine deutsche Flucht

Dieses kurze Stück mussten sie jetzt noch schaffen über Kabuls staubige Straßen. Raus aus der Botschaft, rüber zu den Amerikanern. Die Nachbarn der Deutschen waren schon fort, Japaner, Briten. Und der Evakuierungsbefehl aus Berlin kam und kam nicht. Ihre Zeit lief ab, ihr Konvoi stand bereit, die Motoren brummten.

So schildern mit den Vorgängen vertraute Personen die letzten Minuten in der deutschen Botschaft in Kabul. So endet, was westliche Staaten mit Truppen, Beratern, lokalen Helfern und viel, viel Geld aus Afghanistan machen wollten – mit dieser Flucht im allerletzten Moment an diesem Sonntag, dem 15. August. Auch Präsident Ashraf Ghani flieht, die Taliban triumphieren im Präsidentenpalast.

Um 13.04 Uhr Kabul-Zeit schickt der verantwortliche Vizebotschafter, Jan Hendrik van Thiel, eine E-Mail ans Krisenreaktionszentrum in Berlin. Nein, eine Fahrt direkt zum internationalen Flughafen sei nicht mehr möglich, der Weg versperrt: Konflikte gebe es aber nicht mit den Taliban, sondern mit Afghanen, die zum Flughafen drängten und rauswollten.

Der Diplomat schreibt: „US Botschaft fordert zur sofortigen Verlegung zum alten HQ RS auf“ – dem vormaligen Headquarter der internationalen Afghanistan-Mission „Resolute Support“, sprich: die US-Botschaft am Ostende der über Jahre streng bewachten Green Zone.

Die Mail endet hochdringlich. Nicht mehr um Tage oder Stunden gehe es, nein, um Minuten. Darum, zu überleben: „Wir machen uns abmarschbereit! HABEN WIR GRÜNES LICHT?! BG JhvT“ Um 13.05 Uhr kommt die Zwei-Wort-Antwort aus dem Krisenreaktionszentrum: „Haben Sie! Mit freundlichen Grüßen Informationsmanager/-in“. Kein Name, kein Verantwortlicher. Der finale Befehl, der das 20-jährige deutsche Abenteuer beendet – ein Okay wie aus dem Callcenter.

Dann van Thiels letzte Mail: „Danke! Wir sind dann erst mal nur noch per Telefon erreichbar. Wir zerstören die IT. Schönen Sonntag noch; Ende. BG JHvT.“ Ein resignierter, zynischer Abschied – so deuten es jene, die den Diplomaten kennengelernt haben.

Um 13.17 Uhr sitzen alle in den Fahrzeugen. Um 13.20 Uhr verlassen die Autos das Gelände: 43 Personen – 27 davon sind bewaffnete Sicherheitsleute. Die Bundespolizei, zuständig für die Sicherheit an Botschaften, schützt den Konvoi. Nach kurzer Fahrt kommt er bei den Amerikanern an, mit denen eine solche Hilfe per Vereinbarung, einem „Memorandum of Understanding“, abgemacht ist.

Weiter geht es – neun Kilo Gepäck pro Person – in Chinook-Hubschraubern, diesen Riesen mit Rotorblättern vorn und hinten, zum Flughafen Kabul. Fast alle fliegen dann weiter ins Emirat Katar. Vor Ort bleibt nur noch ein Kernteam der Botschaft, sechs Elitebeamte der Bundespolizei, dazu wenige Nachrichtendienstler.

Adieu, Afghanistan.

(Lesen Sie hier den gesamten Text)

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